Gestik

Warum schütteln wir den Kopf, um „nein“ zu sagen?

Fast überall auf der Welt verwenden Menschen das Schütteln des Kopfes, um „nein“ zu sagen. Bereits der britische Naturforscher Charles Darwin hatte sich gewundert, warum Menschen unterschiedlichster Kulturen den Kopf schütteln, um Ablehnung auszudrücken. In seinem Buch „Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren“ von 1872 kommt Darwin auf eine spektakuläre Hypothese. Die weite Verbreitung des Kopfschüttelns könnte einen ganz natürlichen Grund haben:

With infants, the first act of denial consists in refusing food; and I repeatedly noticed with my own infants, that they did so by withdrawing their heads laterally from the breast, or from anything offered them in a spoon. In accepting food and taking it into their mouths, they incline their heads forwards. […] It deserves notice that in accepting or taking food, there is only a single movement forward, and a single nod implies affirmation. On the other hand, in refusing food, especially if it be pressed on them, children frequently move their heads several times from side to side, as we do in shaking our heads in negation. Darwin (1872: 273)

Tatsächlich sind Darwins Überlegungen einer der wenigen Erklärungsansätze, warum Menschen mit dem Kopf schütteln, um Dinge abzulehnen. Und die Idee klingt plausibel: Kinder kommen mit einem Saugreflex auf die Welt. Wenn ein Kind seinen Hunger an der mütterlichen Brust gestillt hat, muss das Saugen unterbrochen werden – und dies muss notwendigerweise durch eine Ausweichbewegung erfolgen, da der Saugreflex nicht einfach abgeschaltet werden kann. Da Kinder anfangs noch wenig motorische Kontrolle über die Hände haben und eine Rückwärtsbewegung des Kopfes in der Regel nicht möglich ist, weil der Kopf aufgrund der schwachen Nackenmuskulatur durch die Hand oder den Arm der Mutter gestützt ist, bleibt dem Kind nur eine Möglichkeit, nämlich den Kopf zur Seite zu drehen:

Abbildung: Bei allen üblichen Stillpositionen hat das Kind kaum Möglichkeiten, mit dem Kopf nach hinten auszuweichen. Vor allem bei sehr jungen Kindern muss der Kopf aufgrund der noch schwach ausgebildeten Muskulatur gestützt werden. Um das Stillen zu unterbrechen, gibt es nur eine Möglichkeit für das Kind: Es muss den Kopf zur Seite drehen (Bildquellen: hier, hier, hier, hier und hier).

Ähnliches gilt natürlich auch für andere Arten der Nahrungsaufnahme, also wenn das Kind gefüttert und nicht gestillt wird. Es ist nicht unplausibel anzunehmen, dass sich aus einer solchen frühkindlichen Assoziation eine konventionalisierte Geste ergibt. Nachdem eine Assoziation zwischen der Seitwärtsbewegung des Kopfes und Ablehnung hergestellt wurde, ist es nur noch ein kleiner Schritt, diese Seitwärtsbewegung zur Verstärkung zu Wiederholen und die Bedeutung allgemein auf Negation zu erweitern (die Wiederholung – genauer „Reduplikation“ – ist tatsächlich auch ein in den Sprachen der Welt enorm weit verbreitetes Mittel der Intensivierung).

Aber stimmt das wirklich?

Das Problem an Darwins Hypothese ist jedoch, dass sie nur schwerlich wissenschaftlich überprüfbar ist. Wie sollte auch ein (ethisch vertretbares und nicht zu aufwändiges) Experiment aussehen, das diese Hypothese testet? Eine Idee: Man kann vielleicht die Hypothese selbst nicht direkt testen, aber die Vorhersagen, die sie macht. Wenn Darwin tatsächlich richtig liegt und der Ursprung des Kopfschüttelns in der Art und Weise liegt, wie wir gefüttert werden, dann können wir folgende Überlegungen anstellen:

  1. Die Geste sollte extrem weit verbreitet sein, da ihr Ursprung quasi ein natürlicher ist. Gleichzeitig ist die Geste nicht angeboren, was bedeutet, dass es dennoch die Möglichkeit gibt, dass sie in manchen Kulturen durch eine andere Geste „überschrieben“ wurde.
  2. Da die Geste Darwin zufolge aus einer Assoziation in einer extrem frühen Phase der Kindheit entsteht, sollten auch schon sehr kleine Kinder den Kopf schütteln, um ihre Ablehnung auszudrücken.
  3. Auch Menschen, die nicht dazu in der Lage sind, Gesten zu beobachten, sollten das Kopfschütteln im Repertoire haben. Dies betrifft insbesondere taubblind geborene Menschen.
  4. Die Assoziation von Futteraufnahme und Kopfbewegung ist nicht zwingend auf den Menschen beschränkt. Alle Säugetiere, die ein Konzept von Negation haben und auf ähnliche Weise gestillt werden, sollten theoretisch auch über Kopfschütteln verfügen.

Genau mit diesen Vorhersagen habe ich mich letztes Jahr in einem Artikel beschäftigt, in dem ich zu dem Schluss komme, dass sie im Großen und Ganzen zutreffen.

Die Verbreitung des Kopfschüttelns

Zunächst stellt sich also die Frage, wo die Menschen denn tatsächlich überall mit dem Kopf schütteln, um „nein“ zu sagen. Tatsächlich ist die Studienlage hier relativ dünn. Es gibt so gut wie keine Studie, die sich systematisch mit der Frage der Verbreitung des Kopfschüttelns beschäftigt hat. Gleichzeitig sollte man annehmen, dass wenn jemand in früheren Zeiten auf Reisen gegangen wäre und festgestellt hätte, dass die Menschen in einem fernen Land nicht den Kopf schütteln um „nein“ zu sagen, sondern eine andere Geste verwenden, dass man das doch für interessant befunden hätte und das niedergeschrieben hätte. Tatsächlich finden sich kaum Berichte über andere Gesten. Die wenigen Ausnahmen sind auch heute noch vielen geläufig: In einigen wenigen Regionen der Welt bedeutet ein Kopfschütteln „ja“ und ein Kopfnicken „nein“. Dieses „verkehrte“ System findet sich jedoch extrem selten, am prominentesten in Bulgarien. Eine andere Möglichkeit besteht darin, den Kopf einmal kurz in den Nacken zu werfen und mit der Zunge zu schnalzen, um „nein“ auszudrücken. Diese Geste findet man in Süditalien und in Teilen Griechenlands und der Türkei. Dabei fällt auf, dass die wenigen Ausnahmen Cluster bilden. Das macht die Annahme wahrscheinlich, dass diese Gesten einen Ursprung haben und dann kulturell weitergegeben wurden. Interessant ist außerdem, dass in der Literatur bisher übersehen wurde, dass die Kulturen, die dieses „griechische Nein“ kennen, durchaus auch über ein Kopfschütteln verfügen. Die beiden Gesten haben hier zwei verschiedene Funktionen: Mit dem Nachhintenwerfen des Kopfes drückt man die Ablehnung eines Angebots aus, die logische Operation der Negation, wenn man also z. B. ein Verb in einem Satz negiert, wird aber durch Kopfschütteln ausgedrückt. Weitere Daten bestätigten, dass das Kopfschütteln mit wenigen Ausnahmen von allen Kulturen verstanden wird und auch in früheren Zeiten verstanden wurde. Es gibt zwar kaum Studien zur Verbreitung des Kopfschüttelns als sprachbegleitende Geste, aber es gibt viele Studien, die sich mit Kopfbewegungen in den Gebärdensprachen der Welt beschäftigen und alle Gebärdensprachen, die bisher untersucht wurden verfügen in irgendeiner Weise über ein Schütteln des Kopfes zum Ausdruck von Negation–und zwar überall auf der Welt. Und irgendwie muss das Kopfschütteln in diese Gebärdensprachen gekommen sein. 

Ab welchem Alter schütteln Kinder den Kopf?

Die zweite Vorhersage ist, dass das Kopfschütteln als Geste sehr früh erworben werden müsse, wenn Darwin denn Recht hätte. Tatsächlich ist das Kopfschütteln eine der ersten Gesten überhaupt, die Kinder verwenden. Interessanterweise wird das Kopfschütteln zu Beginn nur als Geste der Ablehnung verwendet und eine rein logische negative Bedeutung kommt erst später hinzu. 

Schütteln taub-blind geborene Menschen den Kopf?

Wenn es eine quasi-natürliche Verbindung zwischen Kopfschütteln und Negation geben sollte, dann würde man vorhersagen, dass auch Menschen, die diese Geste nicht beobachten konnten, sie verwenden. Studien zum Gestengebrauch von taub-blinden Kindern zeigen tatsächlich, dass diese den Kopf schütteln, wenn man z. B. versucht, ihnen einen Gegenstand zu geben, den sie nicht wollen. Allerdings ist die Studienlage in diesem Bereich eher rar und die Möglichkeit, dass die Kinder, die an den bisherigen Untersuchungen teilnahmen, das Kopfschütteln auf irgendeine Art implizit beigebracht wurde, kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden.

Schütteln andere Säugetiere den Kopf?

Die letzte Vorhersage betrifft Tiere, die ihre Kinder auf ähnliche Art und Weise säugen wie Menschen. Diese sollten, vorausgesetzt, sie verfügen über ein Verständnis von Negation, ebenso eine Verbindung zwischen der Seitwärtsbewegung des Kopfes und der Negation möglich machen. Infrage kommen hier nur eine kleine Menge an Säugetiere, da der Großteil der Säuger ihre Kinder im Liegen oder Stehen säugt, was eine Seitwärtsbewegung des Kopfes nicht notwendig macht. Auf ähnliche Art und Weise säugen dennoch einige Affenarten ihre Kinder. Leider ist die Studienlage in diesem Fall ebenfalls nicht sehr gut. Die wenigen Studien, die im Bereich der Kopfgesten von Affen existieren deuten darauf hin, dass einige Affenarten ihren Kopf kaum zur Kommunikation verwenden. Immerhin Bonobos wurden dabei beobachtet, dass sie unerwünschtes Verhalten mit einem Kopfschütteln quittieren und hierzu gibt es sogar überzeugendes Videomaterial

Fazit

Darwins Hypothese, dass der Ursprung des Kopfschüttelns auf einer frühkindlichen Assoziation beruht, lässt sich nur schwer überprüfen. Die Vorhersagen, die diese Hypothese macht, sind jedoch selbst relativ gut überprüfbare Hypothesen, die größtenteils zutreffen, auch wenn die Forschung zum Gestengebrauch von taub-blind geborenen Menschen noch in den Kinderschuhen steckt und die Ergebnisse zum Gestengebrauch von Affen, zumindest für einige Arten, nicht ganz eindeutige Ergebnisse bereithalten (immerhin sprechen diese Ergebnisse aber auch nicht gegen Darwin). 

Literatur

Bross, Fabian (2020): Why do we shake our heads? On the origin of the headshake. In: Gesture, 19, 2/3. 269–299. DOI: 10.1075/gest.17001.bro.

Darwin, Charles (1872): The expression of the emotions in man and animals. London: John Murray.