Allgemein, Ambiguität, Gender Studies, Gendern

Repräsentative Umfrage zeigt: Mehrheit der Deutschen für Gendersprache

Sie finden, der Titel dieses Beitrags klingt nach Clickbait? Ja, das tut er. Und dennoch ist er inhaltlich korrekt, auch wenn man häufig liest, Umfragen würden das Gegenteil zeigen. Warum, ist ganz einfach erklärt – und diese Erklärung zu verstehen, ist wichtig, um eine sachliche Debatte über „Gendersprache“ zu führen. Spoiler: Ich stelle keine neue Umfrage vor, sondern bespreche nur, was ältere Umfragen schon gezeigt haben.

Das Problem beginnt mit einer ganz einfachen Frage: Was ist eigentlich „Gendersprache“? Zunächst beinhaltet das Wort den aus dem englischen stammenden Begriff Gender, der verwendet wird, um auf das soziale Geschlecht Bezug zu nehmen. Daraus abgeleitet sind die Begriffe Gendersprache und (sprachliches) gendern. Mit dem Verb gendern meint man hier: Gendersprache verwenden. Synonym werden häufig die Begriffe geschlechterneutrale oder geschlechtergerechte Sprache verwendet, die ich jedoch etwas kritisch sehe, weil mir nicht klar ist, ob Sprache wirklich (für alle) neutral oder gerecht sein kann. Gabriele Diewald und Anja Steinhauer definieren sprachliches gendern wie folgt:

„Gendern ist, sehr allgemein gesprochen, ein sprachliches Verfahren, um Gleichberechtigung, d. h. die gleiche und faire Behandlung von Frauen und Männern im Sprachgebrauch zu erreichen.“ (Diewald & Steinhauer 2017:5)

Die Diskussion um die Gendersprache beginnt meist mit dem generischen Maskulinum, einer Form die ambig ist, also mehrdeutig. Der Ausdruck Lehrer im grammatischen Maskulinum kann einerseits ‚männliche Lehrer‘ meinen oder ‚Lehrkräfte egal welchen Geschlechts‘. Neben dieser Ambiguität (oder vermutlich gerade wegen dieser Ambiguität) gibt es das Phänomen des „male bias“. Wenn Menschen generische Maskulina verarbeiten, denken sie mehrheitlich an männliche Vertreter des Berufs (eine Zusammenstellung solcher Studien findet sich beispielsweise in Kotthoff & Nübling 2018).

Gegner der „Gendersprache“ sind üblicherweise Verfechterinnen und Verfechter des generischen Maskulinums, die davon ausgehen, dass das generische Maskulinum alle Geschlechter gleichermaßen repräsentiert. Wir können jetzt schon festhalten, dass die Verwendung des generischen Maskulinums aus dieser Perspektive auch eine Form des Genderns ist – das ist aber nicht der Punkt, auf den ich in diesem Beitrag hinaus will.

Folgen wir das Ansicht, dass das generische Maskulinum, seine Aufgabe schlecht erfüllt und eben nicht generisch interpretiert wird, kommen wir zu der Folgerung, dass die deutsche Sprache ungerecht ist. Um diese Ungerechtigkeit zu umgehen oder zumindest abzumildern, gibt es verschiedene Vorschläge. Die bekanntesten dieser Vorschläge sind die Verwendung der Paarform (Leherinnen und Lehrer), Neutralisierungsstrategien (nominalisierte Partizipien wie Lehrende oder andere Neutralformen wie Lehrkräfte), die Verwendung des Gendersterns (Lehrer*innen) oder anderer Symbole (Lehrer:innen oder Lehrer_innen oder die Verwendung einer Binnenmajuskel: LehrerInnen). Alle diese Formen sind Ausprägungen von „Gendersprache“. Und ich vermute, dass Sie schon wissen, worauf ich jetzt hinaus will.

Es gibt mittlerweile eine ganze Reihe an repräsentativen Umfragen zum Thema gendersensible Sprache. In solchen Umfragen wird häufig aber gar nicht zwischen den verschiedenen Formen des Genderns differenziert. So fragt etwa Infratest dimap im Auftrag der Welt am Sonntag (siehe auch hier):

Nun eine Frage zu einer geschlechterneutralen Sprache, also der sogenannten Gendersprache. Dafür wird beispielsweise beim sogenannten ‚Binnen-I‘ nicht von Wählerinnen und Wählern, sondern in einem Wort von ‚WählerInnen‘ gesprochen, d. h. mit kurzer Pause vor dem ‚i‘. Außerdem werden beispielsweise aus den Zuhörern die Zuhörenden. Wie stehen Sie zur Nutzung einer solchen Gendersprache in Presse, Radio und Fernsehen sowie bei öffentlichen Anlässen?

Insgesamt bleiben die Fragen in solchen Umfragen entweder komplett vage, was eigentlich gemeint ist (z. B. hier), was vermutlich dazu führt, dass die Menschen an Gendersterne und Sprechpausen denken, oder die Fragen führen explizit den Genderstern oder das Binnen-I an (z. B. hier, hier oder hier).

Aufschlussreich sind dagegen zwei Umfragen von 2020 und 2022 von Infratest dimap im Auftrag des WDR, in der nach der Einstellung gegenüber gendersensibler Sprache in der Berichterstattung gefragt wurde. Gerade die jüngere Umfrage wurde in den Medien mit Titel wie „WDR-Umfrage zeigt: Mehrheit lehnt Gendern ab“ besprochen. Tatsächlich zeigt diese Umfrage jedoch etwas anderes: Die befragten Personen sind nicht mehrheitlich gegen das Gendern, sondern gegen spezifische Formen des Genderns. So befanden 69 Prozent der befragten Personen die Paarform für gut oder sehr gut. Gruppenbezeichnungen wie das Publikum statt des generischen Maskulinums bewerteten 63 Prozent mit gut oder sehr gut und Neutralformen wie die Studierenden statt des generischen Maskulinums noch 56 Prozent. Den Genderstern oder andere Symbole bzw. Sprechpausen lehnt die Mehrheit der befragten Menschen jedoch ab.

Das bedeutet also: Die Mehrheit der Menschen ist nicht gegen Gendersprache (hier: Gendersprache in den Medien), sondern nur gegen spezifische Formen der Gendersprache. Und im Umkehrschluss bedeutet das eben, dass die Mehrheit der Deutschen für bestimmte Formen gendersensibler Sprache offen ist.

Ich denke, was wir daraus mitnehmen sollten, ist zu differenzieren. Wenn die Menschen einen Begriff wie Gendersprache hören, denke sie vermutlich in erster Linie an den Genderstern. Es gibt aber verschiedene Formen gendersensibler Sprache, die unterschiedlich stark akzeptiert werden. Und diese Differenzierung sollte auch in der medialen Berichterstattung eine stärkere Rolle spielen. Sonst wird es schwierig, einen sachlichen Diskurs zu führen.

Literatur

Diewald, Gabriele & Steinhauer, Anja (2017): Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben. Berlin: Dudenverlag.

Kotthoff, Helga & Nübling, Damaris (2018). Genderlinguistik. Eine Einführung in Sprache, Gespräch und Geschlecht. Tübingen: Narr.